…an der ersten Tibet-Vorgrenze heißt es Stopp und zurück!?!
Nach einer guten, Koma-ähnlichen Zelt-Nacht, bei der es außer den paar Tropfen vor Schlafbeginn keinen weiteren Niederschlag und auch kein Gewittersturm gab, bin ich schon vor 9 Uhr bei Sonnenschein wieder auf der G109 Richtung Golmud, dem „Tor nach Tibet“ – mit Abfahrt sollte jeder Radlertag beginnen.
In Balongxiang, nach 30 km, mache ich Einkaufs- und Akkulade-Pause im „Supermarkt“ sowie Vesper davor, bei den herumhängenden Einstraßen-Städtchen-Einwohnern die in dieser Tristesse natürlich für jede kleinste Abwechslung dankbar scheinen. Kurz danach bin ich auf einmal wieder in der Gobi – dem chinesischen Wüsten-Teil – auf der endlos scheinenden, glutheißen 3000-er-Hochebene.
Sonnen- und Wind-Schatten Mangelware – zum Glück hat es leichte Wolken und es bläst nur leicht.
Auch der höckerige Ureinwohner zwischen Autobahn und Bundesstrsaße scheint für jede Abwechslung dankbar.
Als die Hitze um 3 Uhr Nachmittags unerträglich ist, bin ich unendlich dankbar über den lonesome „Supermarkt“ in the middle of Gobi-nowhere. Gönne mir ein Eis, fasse Trinkwasser(flaschen) und teile meine wertvolle Schattenpause mit dem lethargischen Yeye (chin. Opa).
Wider unterwegs ist es so extrem und schattenlos heiß, dass der (wenige) Schatten den der Straßenschild-Pfosten spendet ein Geschenk ist.
Nach 140-Tages-km halte ich am Abend bei einem „Supermarkt“ und Restaurant an der G109 an, um im Straßenrestaurant etwas zu essen und nach einem Schlafplatz zu fragen, doch bevor ich dazu komme, muss ich total beschämt schnell wieder aufbrechen – habe meine Kippe versehentlich in die Wasser- anstatt der Feuerklappe des vollen Trinkwasseer-Kochers vorm Restaurant geworfen (weil ich sie nicht wegwerfen wollte) was den Restaurant-Mann verständlicherweise überhaupt nicht erfreut.
So radle ich nun (anstatt eines ordentlichen Abendessens und evtl. Schlafplatzes) plötzlich und ungewollt sowie hungrig, in großer Scham und Müdigkeit „on the (desert)road again“ weiter, dem Sonnenuntergang entgegen?! Na ja, Leben… weiß, (auch) wenn ich es nicht verstehe.
Zwei km weiter kommt total unerwartet nochmal ein Restaurant – und als ich drinnen vor dem jungen Mann stehe und mit Zeichen unterstützt sage „I`m on bike-tour and very very hungry and tired“ lächelt er und sagt „please sit down – we have eating and bed for you“. Ich bin den Tränen nah for Freude – Danke Dir, du lieber junger Emgel und liebes Leben…
Als die Besitzer mich dann bitten das Bike ins Restaurant zu holen und bald darauf ein furchtbarer Sandsturm um das Restaurant tobt, verstehe ich warum Leben mich und vor allem das Bike unbedingt (auf etwas unorthodoxe und mich sehr beschämende Weise) dort weg und hier bei diesen Engeln im (äußerlich) Trockenen und vor allem Sandstaubfreien haben wollte.
Die drei jungen Freunde, die dieses Straßenrestaurant vor ein paar Monaten übernommen haben sind total happy, dass ich (nach einem tollen warmen Gericht) mit ihnen ab Mitternacht den 21. Geburtstag meines Einladers (vorne rechts) feiere – unglaublich!!!
Wir schlafen zu dritt im Bett in der Vorratskammer zwischen Küche und Restaurant.
Mein Einlader bittet mich inständig doch noch länger bei ihnen zu bleiben und so bekomme ich von den Dreien auch am nächsten Tag alle möglichen Gerichte
und von Xiao (in/aus ihrer Not und Sehnsucht, 2000 km nordöstlicher bei ihrer Familie in Baotou) Kunstwerke über und für uns – während ich an diesem not-wendigen Sonnensich-Erholungstag wieder Reise-Bildberichte gen Westen maile.
Nach einer erneut guten Nacht bei den Jungs im Bett, folgt ein deftiger Abschieds-Brunch von meinem Einlader und ein gaaanz herzlich-emotionaler Abschied. Beladen mit Verpflegung, Wasserflaschen und einem Brief von ihm (den ich erst bei meiner nächsten Zelt-Nacht aufmachen darf – die aber auf dieser Tour niemals kommen sollte!!!), mache ich mich an die restlichen 140 Wüsten-km bis zur Stadt Golmud („Tor nach Tibet“) die ich wohl heute nicht mehr erreiche, da es schon kurz vor Mittag ist.
Der Wind hat nach dem vorgestrigen Sandsturmgewitter nachgelassen, aber eine neue Wolkenfront kommt vom Gebirge – mal schauen wie es Leben… für mich denkt, wenn ich die schützende Stadt heute Abend nicht erreiche.
Nach einer guten Stunde auf der Wüstengerade halte ich bei zwei Schwertransportern. Wie sich herausstellt, sind sie wie ich nach Lhasa unterwegs. Also gebe ich den Fahrern via Zeichen zu verstehen, dass sie mein Bike wohl hintendrauf an die Rohrteile binden und mich bis Tibets Hauptstadt mitnehmen könnten – und sie stimmen begeistert zu nachdem sie mein China-Visa im Reisepass gesehen haben.
Der Haken ist, dass sie erst nächste Nacht weiterfahren dürfen!
Irgendwie bin ich mir unsicher – und entscheide mich (nach einer Stunde mit ihnen) nach Golmud weiterzuradeln anstatt hier gut 8 Stunden zu stehen – so Leben möchte werden sie mich in der Nacht am Straßenrand (wieder)erkennen und mitnehmen – oder wenigstens nicht überfahren.
War es richtig weiterzuradeln? Was würde mit mir und meinen Trucker-Anhaltern passieren an der Grenze, ohne Tibet-Visa? Würde ich sie wiedersehen und mitfahren?
Die endlose Wüstengerade lädt natürlich zum Grübeln und Zweifeln ein!
Nach gut 60 km, als ich gerade total erschöpft etwas zu mir nehme, halten zwei Pickups 200 m weiter – und als die Fahrer zum Pinkeln aussteigen, werfe ich meine Verpflegung hastig in die Packtasche und radle zu ihnen, um jetzt die verbleibenden gut 80 km bis Golmud gemütlich und schnell voranzukommen.
Die grandiose Landschaft lässt sich natürlich nicht weniger gut genießen im klimatisierten Auto und Wissen, dass man sich um die nächste (Wüstensturm-)Übernachtung keine Gedanken zu machen braucht.
In Golmud angekommen laden die zwei lieben Pickup-Fahrer mich und Bike an einem Nobelhotel am Stadteingang ab, da sie in andere Richtung weiterfahren (ich und Hotel – und dann auch noch nobel ;-)). Als sie weg sind, radle ich durch die ganze Stadt zum Stadtrand Richtung Tibet um zu schauen wo ich heute Nacht auf meine zwei Schwerlaster warten und/oder schlafen kann.
Beim geschäftstüchtigen Obstverkäufer erstehe ich eine Honigmelone und eine Glaubensversammlung im Vorort freut sich sehr über meinen Kurzbesuch… doch anstelle einer Übernachtungsmöglichkeit (nach der ich nicht gefragt habe) bekomme ich Umarmungen und den noblen Schal geschenkt – wie ich erst viel später erfahre, ist er zur Ehre und für Glück.
Nach gut 10 km bin ich am Stadtrand Richtung Tibet – einen Schlafplatz habe ich nicht gefunden aber die Mautstelle ist eine gute, beleuchtete Möglichkeit um heute Nacht auf die Trucker zu warten.
Da ich noch gut 5 Stunden Zeit habe bis meine zwei Fernlaster frühestens hier auftauchen können, radle ich wieder zurück zum Zentrum um die Stadt (und evtl. Schlafplatz) zu erkunden.
Während ich dort einen Volksauflauf verursache, versorgt mich ein lieber Obsthändler mit Früchten und Kinder bringen mir etwas zum Knabbern aus dem „Supermarkt“ an der Ecke. Als ich den Obsthändler nach einer Schlafmöglichkeit frage, bietet er mir an in seinem Transporter neben dem Geschäft zu schlafen.
Um 22 Uhr radle ich die 6 km vom Zentrum bis zur Mautstelle – aber außer einer menge Armee- und LKW-Verkehr nichts von meinen Schwertransportern zu sehen!?!
Kurz vor Mitternacht radle ich die 6 km zurück zum Obsthändler um ihn noch zu erwischen – aber dort ist alles dunkel und verschlossen – also suche ich total erschöpft beim wieder Herausradeln aus dem Zentrum nach einer Schlafgelegenheit…
Erst lange nach Mitternacht find ich einen Schlafplatz unter der Fußgängerbrücke über die G109 nach Tibet – einer der lautesten Plätze in meiner langenjährigen „Tour-Karriere“, denn hunderte Trucks, von und nach Lhasa, fahren mir quasi die ganze Rest-Nacht fast über den Schlafsack – doch ich bin sooo erschöpft, dass ich trotzdem erholsamen Schlaf finde.
Um 7.30, während so manch erstauntem Passanten, bin ich bereit für den Aufbruch gen Lhasa.
Auf dem (schmalen Tibet-)Highway ist die (Truck-)Hölle los und plötzlich nur noch Stau so weit das Auge reicht! Zuerst nur in meiner Richtung und dann stehen sie in beiden Richtungen – und wieder zahlt sich meine Moto-Cross-Erfahrung aus – (höchste Konzentration) beim zentimetergenauen, schnellen Durchfahren zwischen den Brummis (auf gut 15 km Länge!) – zum puren Erstaunen der Trucker und in meiner innigen Hoffnung, dass sich nicht plötzlich eine Führerhaustür öffnet.
Endlich am Stauanfang angekommen, knapp 30 Kilometer seit Golmud, ist Stopp für mich, an der ersten Vorgrenze – nach ca. 3000 km durch China und nur noch gut 500 km bis Tibet!!!
Die Grenzpolizisten sind sauer und werden laut, da ich kein Tibet-Visum habe – aber ich muss sooo traurig/zerstört/erschöpft aussehen, dass ein junger, englisch-sprechender Passant unsere gegenseitigen Ansichten/Berichte übersetzt und laut seiner Aussage die jetzt herzlichen, schwarzen Grenzpolizisten so imponiert von meiner Tour wären, dass sie mich sogar durchlassen würden, aber da noch mehrere Vorgrenzen bis Tibet kämen, ich unmöglich eine Chance hätte und deshalb zurück nach Golmud müsse!?!?!